Leons Identität

Ein detektivisches Abenteuerspiel, das für rechtsextremistische Einflüsse und Radikalisierung im Internet sensibilisiert.

Sek. 2

Pädagogische Qualitätskriterien

“Leons Identität” wurde im Auftrag der Staatskanzlei und des Ministeriums des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen durch das btf Game Department entwickelt und 2020 veröffentlicht. Das Point-and-Click-Adventure soll Jugendliche für die Themen Rechtsextremismus und Radikalisierung sensibilisieren sowie über die Gefahren rechtsextremer Manipulationen im Internet aufklären.

Im Intro erfahren die Nutzer:innen durch ein Gespräch zwischen Leons Eltern und einem Polizisten, dass es noch immer keine Hinweise für das spurlose Verschwinden ihres ältesten Sohnes Leon gibt. Die Spieler:innen schlüpfen in die Rolle des jüngeren Bruders Jonas, der sich auf dem Weg zu Leons Zimmer befindet, um dort nach Indizien über Leons Verbleib zu suchen. Im Laufe des Spiels verdichten sich die Hinweise, dass Leon sich seit ein paar Monaten einer rechtsextremistischen Gruppe namens “Atavistische Aktion” angeschlossen hat und dort aktiv an Veranstaltungen teilnimmt, im Internet mit anderen Mitgliedern kommuniziert und Aktionen mitorganisiert. Während der Durchsuchung von Leons Zimmer und seinem Computer kommen die Nutzer:innen mit rechtsextremistischen Inhalten in Kontakt, wie zum Beispiel völkischen Schriften sowie rassistischen und menschenverachtenden Gedankengut.

Während der Suche nach Informationen über Leons Verbleib und in einem abschließenden Telefonats der beiden Brüder greift Jonas die in Leons Zimmer gefundenen rechtsextremistischen Schriften, Ideologien und Verschwörungserzählungen auf, kontextualisiert und dekonstruiert sie. Parolen und versteckte sprachliche Codes werden den Spielenden somit erklärt und die Strategien von rechtsextremen Organisationen zur Rekrutierung von Jugendlichen veranschaulicht. Auch wenn die eigentlichen Beweggründe für Leons Radikalisierung doch recht unspezifisch bleiben, bekommen die Spielenden jedoch einen guten Eindruck von Leons zunehmendem Abdriften in die Szene der Neuen Rechten.

Es ist ersichtlich, dass in die Recherche und Umsetzung des Spiels viel Arbeit investiert wurde, sowohl in grafischer Hinsicht als auch in der Entwicklung einer fesselnden Storyline. Die Vielfalt der Rätsel und das Verdichten der Hinweise auf Leons Verbleib sorgen für Abwechslung und bieten eine spannende Methode, um Wissen über rechtsextreme Einflüsse, Radikalisierung und die unmittelbaren Auswirkungen auf das Umfeld der Betroffenen spielerisch zu vermitteln.

Aktivität & Kreativität

Aktivität & Kreativität

Das Spiel-Abenteuer bietet eine abwechslungsreiche Kombination aus detektivischer Arbeit, Lösen von Rätseln, Sammeln von Informationen und auf Basis dessen Entscheidungen zu treffen. Gepaart wird diese Spielstruktur durch den emotionalen Storyverlauf, durch die bröckelnde Beziehung der beiden Brüder und das Abdriften von Leon in die rechtsextreme Szene. Dabei sind die Spielenden mit der drohenden Gefahr konfrontiert, Leon durch falsche Entscheidungen im Telefonat komplett an die rechtsextreme Gruppe zu verlieren.

Das Spiel findet einen kreativen Weg, sich im Spielverlauf Wissen über rechtsextreme und demokratiefeindliche Ideologie und Methoden zur Rekrutierung von Jugendlichen anzueignen. Der nahe Realitätsbezug wird durch Referenz auf teils real existierende Literatur, kursierende Verschwörungserzählungen und die Verwendung von verschleierter Wortwahl und Ausdrucksweise (z.B. Remigration, Öko-Diktatur und Gender-Gaga) hergestellt. Hier knüpft das Spiel sehr an bestehende Diskurse an und beleuchtet sie durch die Kommentare von Jonas als Spielfigur kritisch.

Sozialform, Reflexion und weiterführende Themen

Sozialform, Reflexion und weiterführende Themen

Aufgrund des komplexen Themas eignet sich das Lernspiel vor allem für Partner:innenarbeit. Außerdem ist es sehr wichtig, den gelernten Inhalt mit den Schüler:innen zu reflektieren und sie bei Bedarf im Spielprozess zu begleiten.

Die Begleitmaterialien sind so gestaltet, dass es Plenumsphasen mit Diskussionen und Reflexionen gibt sowie Aufgaben, die in Gruppenarbeit oder Partner:arbeit erledigt werden können. Es wird empfohlen, dass die Schüler:innen das eigentliche Spiel im Zweierteam bestreiten, um gemeinsam die Rätsel lösen zu können.

Die im Spiel vorkommenden Bücher und Schriften existieren zum Teil in der Realität. Dienlich hierbei ist der auf der Webseite des Spiels zu findende "Realitätsabgleich", in dem die im Spiel verwendeten fiktiven Beispiele mit ihren real existierenden Pendants, wie beispielsweise rechtsextremen Publikationen, verglichen werden. So referiert unter anderem die im Spiel verwendete rechtsextremistische Organisation “Atavistische Aktion” auf die bestehende Identitäre Bewegung. Hier könnte mit der Klasse gemeinsam reflektiert werden, welche Parallelen zu weiteren existierenden Phänomenen, Codes oder Themen den Schüler:innen sonst noch aufgefallen sind.

Die im Spiel verwendete Rhetorik und Narrative werden häufig von Rechtsextremisten wie der Neuen Rechten verwendet, um Personen in sozialen Medien zu rekrutieren. Über Propaganda in sozialen Netzwerke sollen neue Anhänger:innen für rechtsextreme Gruppierungen rekrutiert werden, um sie von ihren rassistischen, menschenverachtenden und völkischen Ideologien zu überzeugen. Als weiterführendes Thema könnten die Schüler:innen diskutieren, ob ihnen solche Inhalte ebenfalls schon im Internet begegnet sind oder sich in Gruppenarbeit aktiv auf die Suche danach begeben und ihre Rechercheergebnisse der Klasse präsentieren und einen Vergleich zu den Spielinhalten ziehen.

Altersgerechte Darstellung

Altersgerechte Darstellung

Das Lernspiel ist ab 12 Jahren freigegeben. Aufgrund der anspruchsvollen Thematik und der Verwendung von sprachlichen Codes und versteckter Rhetorik wie beispielsweise “Ethnopluralismus” oder “Der große Austausch” bedarf es zum einen Hintergrundwissen der Schüler:innen sowie zum anderen eine enge Begleitung durch die Lehrperson. Die von rechtsextremen Gruppierungen verwendete Sprache, die im Spiel aufgegriffen wird, bedarf eines hohen Reflexionsprozesses der Schüler:innen, damit es nicht zu einer ungewollten Reproduktion der rechtsextremen Codes kommt. Daher sollte das Spiel erst ab der späteren Sekundarstufe 2 verwendet werden.

Einsatzmöglichkeiten im Unterricht

Einsatzmöglichkeiten im Unterricht

Ergänzend zum eigentlichen Spiel werden vom Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen viele Begleitmaterialien bereitgestellt, die Lehrpersonen bei der Unterrichtsdurchführung unterstützen sollen. Das Material ist dabei auf die Inhalte der deutschen Kernlehrpläne für die Schultypen Hauptschule, Gesamtschule, Realschule und Gymnasium abgestimmt. Innerhalb jeder dieser Kategorien wird nochmal speziell darauf verwiesen, welche übergreifenden Kompetenzen der Schüler:innen dadurch erzielt werden sollen und zu welchen Inhaltsfeldern der Lehrpläne Bezug hergestellt wird. Zum Beispiel werden im Abschnitt Gesellschaftslehre das Inhaltsfeld “Herrschaft, Partizipation und Demokratie” sowie "Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg” abgedeckt und im Abschnitt Wirtschafts-Politik das Inhaltsfeld  “Sicherung und Weiterentwicklung der Demokratie”. Da hier auf die Kernlehrpläne des Bundeslandes NRW referiert wird, müssen die Inhalte noch auf die jeweiligen österreichischen Lehrpläne übertragen werden, was durch teilweise inhaltliche Überschneidungen kein Problem darstellt. Die Hintergrundgeschichte von Leon ist natürlich besonders geeignet, um sie in politische Kontexte, zum Beispiel im Fach Geschichte oder politische Bildung, zu integrieren. Darüber hinaus bietet sie ebenso zahlreiche Möglichkeiten für Verbindungen zu anderen Fächern und Fachbereichen.

Zusätzlich wird den Lehrpersonen eine detaillierte Reihenplanung von jeweils drei Doppelstunden bereitgestellt, an der sich orientiert werden kann. Diese Planung geht jedoch davon aus, dass die Schüler:innen zumindest überblicksartig sich mit realem Extremismus und rechten Ideologien auseinandergesetzt haben. Die Stundenverläufe beinhalten neben dem zeitlichen Ablauf auch bereitgestellte Unterrichtsmaterialien und didaktische Kommentare, die es Lehrpersonen erleichtern sollen, das Spiel im Unterricht einzubetten. Die Lehrperson wird durch diese tabellarische Stundenstruktur sehr gut angeleitet, an welcher Stelle z.B. die Einführung in die Steuerung passiert, wann aktive Spielphasen der Schüler:innen stattfinden oder wann zur Verfügung gestellte Unterrichtsmaterialien eingesetzt werden. Unter anderem werden Poster, auf die die Schüler:innen später im Spiel in Leons Zimmer treffen werden, vorab den Schüler:innen präsentiert und Ideen gesammelt, was damit auf sich hat. Zudem werden die Schüler:innen mit einer Ermittlungsmappe (PDF) ausgestattet, um gefundene Hinweise in Leons Zimmer zu notieren, zu beschreiben und eventuelle Vermutungen aufzustellen.

Selbstverständlich muss sich die Lehrperson nicht an die bestehenden Stundenreihung halten, sondern kann auch nur die für ihren Unterricht relevanten Teilaspekte herausnehmen und mit den Schüler:innen thematisieren. Jedoch sollte unbedingt darauf geachtet werden, den gesamten Spielprozess durch Pädagog:innen zu begleiten.

In der spielerischen Erarbeitungsphase von Leons Identität nimmt die Lehrperson eher eine passive Rolle ohne Eingreifen ins Spielgeschehen ein, damit die Schüler:innen selbstständig Lösungshinweise erarbeiten und im Spielfortschritt weiterkommen. Die Spieleentwickler:innen empfehlen, dass Leons Identität im Unterricht in jeweils Zweierteams gespielt wird. Die Lehrperson sollte nur eingreifen, wenn offensichtlich ist, dass ein Team überhaupt nicht mehr weiterkommt oder es anderweitige Probleme gibt (z.B. soziale Konflikte zwischen beiden Teammitgliedern). Für ein authentisches Spielerlebnis sollte Leons Identität unbedingt mit Sound gespielt werden. Zwar werden die Dialoge, Jonas innere Monologe sowie Beschreibungen von Hinweisen den Nutzer:innen zusätzlich als Text auf dem Bildschirm angezeigt, jedoch lebt das Spiel von der emotionalen Tiefe und dem Unverständnis von Jonas, dass sein großer Bruder sich einer rechtsextremen Organisation angeschlossen hat. Damit die Schüler:innen sich nicht gegenseitig im Spielgeschehen stören, sollten in der Klasse Headsets bzw. Kopfhörer verwendet werden.

In Kombination mit den ebenfalls kostenlos zur Verfügung gestellten Lehrmaterialien zum Spiel werden viele Möglichkeiten geboten, das Spiel aktiv und kreativ im Unterricht einzusetzen. Unabhängig vom Spielinhalt gibt es zusätzlich noch Situationskarten, auf denen fiktive Geschichten von Schüler:innen thematisiert werden, die mit verschiedenen Problemlagen konfrontiert sind. Jede Geschichte beinhaltet Arbeitsaufgaben für die Schulklasse bzw. Schüler:innen-Gruppen.

Einsatzmöglichkeiten zuhause

Einsatzmöglichkeiten zuhause

Das Lernspiel eignet sich nur bedingt für den Einsatz zuhause. Da das Lernspiel sehr ernsthafte Inhalte vermittelt, sollte “Leons Identität” nicht ohne eine Begleitperson gespielt werden.

Die kostenlos zur Verfügung gestellte Stundenreihung zu Leons Identität sieht vor, das Spiel ausschließlich im Klassenverband zu thematisieren und auch dort in Zweierteams zu spielen. Jedoch können Teile der Begleitmaterialien von der Lehrperson als Hausaufgabe aufgegeben werden, die dann gemeinsam im Unterricht besprochen werden (z.B. Gedanken zu den Postern machen).

Technische Kriterien

  • kostenfrei, ohne Premium- oder Abo-Modelle
  • Keine Werbung oder In-App-Käufe
  • für Computer (Windows, Linux, MacOS) und iPad verfügbar
  • kostenloser Download auf der Webseite https://leon.nrw.de
Installation

Installation

Zum Herunterladen für Windows, Linux, Mac OS, Steam und iPad. Das Lernspiel kann kostenlos über die Spielhomepage oder den App-Store heruntergeladen und installiert werden. Es ist keine Registrierung notwendig. Zur Installation werden ca. 3 GB Speicherplatz benötigt.

Datenschutz

Datenschutz

Das Spiel befindet sich nach Installation als lokale Datei oder als App auf dem Endgerät der Spieler:innen. Es ist keine Anmeldung oder Registrierung notwendig, somit sammelt das Spiel keine persönlichen Daten.

Usability & Sprachen

Usability & Sprachen

Das Spiel ist in deutscher Sprache. Am Computer können die „WASD“-Tasten der Tastatur genutzt werden, um sich im Raum zu bewegen. Mit der Strg-Taste kann Jonas sich ducken. Mit der Maus oder einem Touchpad wird die Laufrichtung im dreidimensionalen Raum gesteuert oder auch der Kopf bzw. die Kamera gedreht.In der App gestaltet sich die Steuerung etwas komplizierter. Mittels zwei Steuerungskreisen lassen sich Bewegung und Blickrichtung von Jonas steuern.

Die Gegenstände, die in Leons Zimmer zu finden sind, können die Spielenden mit einem Mausklick oder durch das Tippen ansteuern. Alle gesprochenen Passagen werden durch Untertitel nochmals ausformuliert, sodass die Spielenden leicht nachlesen können, was Jonas, Leon oder einer ihrer Freund:innen gesagt haben.

Sollten die Spielenden einmal nicht weiterkommen, kann in der Komplettlösung zu Leons Identität nach einer Lösung geschaut werden.

Fazit

Leons Identität bietet eine spannende und interaktive Möglichkeit, mit Schüler:innen das Thema Rechtsextremismus zu besprechen und zu analysieren, wie die Neue Rechte soziale Netzwerke und Medien nutzen, um junge Menschen zu mobilisieren und für ihre menschenverachtende Ideologie zu gewinnen.

Besonders hervorzuheben sind die Begleitmaterialien, die speziell für das Spiel entwickelt wurden und Lehrkräften wertvolle Unterstützung bieten, um das Thema Rechtsextremismus effektiv in den Unterricht zu integrieren. Es ist aber zu beachten, dass die Lehrperson den Einsatz des Spiels im Unterricht stark begleiten muss und die Durchführung in der Klasse ausreichend Vorbereitung benötigt.


Getestet im Mai 2024