Krakonos
Der Philologe und Märchensammler Johann Karl August Musäus (18. Jhdt) hat Rübezahl "ein Kraftgenie" genannt, "launisch, ungestüm, sonderbar, bengelhaft, roh, unbescheiden, stolz, eitel, wankelmütig, heute der wärmste Freund, morgen fremd und kalt …" Johann Praetorius, ebenfalls Schriftsteller und erster Kompilator der Geschichten über den Berggeist aus dem Riesengebirge, hieß ihn schon 100 Jahre früher einen "Widerspruchsgeist".
Da Krakonos, wie Rübezahl im Tschechischen genannt wird, darüberhinaus ein Gestaltwandler ist, passt er perfekt in die kinderliterarische Fantastik der Gegenwart.
Das hat Wieland Freund, Literaturkritiker, Redakteur bei der Literarischen Welt, Übersetzer & Autor erkannt und die Sagengestalt zum Mittelpunkt eines Spannungsromans gemacht, der in einer hochtechnologisierten Gegenwart angesiedelt ist. Und nur einen Bruch zu unserer Wirklichkeit hat:
Es gibt in dieser fiktiven Wirklichkeit inner- und außerweltliche Gestalten, von denen zwar normale Menschen nichts wissen, denen aber mythobiologische Forscher immer auf der Spur sind.
Freund lässt nun Krakonos, der 50 Jahre lang in einem Stein geschlafen hat, aufwachen. Als Rabe entkommt er seiner Bewacherin und trifft in Berlin auf der Flucht vor einem mythobiologischen Sondereinsatzkommando auf den zehnjährigen Levi. Der Junge, der lieber Spitzmäuse oder Eulenvögel googelt, als auf der Konsole zu spielen, treibt sich nachts gern in einer verfallenen Kleingartenanlage herum. "Levi brachte es fertig und schwänzte Webpublishing, um nach einer Ameisenstraße zu sehen, von deren Existenz auf dem Gelände er allein wusste." Sagt der 13-jährige Nik über seinen kleinen Bruder. Kein Wunder, dass Levi sich sofort zu Krakonos hingezogen fühlt. Zu dritt fliehen sie aus Stadt, verfolgt vom M-SEK …
Wieland Freunds Fortschreibung der Rübezahl-Sagen funktioniert bestens (auch ohne dass man von Rübezahl je gehört hat): die Figuren sind glaubhaft, die Dramaturgie - nach einem etwas mühsamen Einstieg - gelungen, das Timing stimmig. Alles zusammen mutet atmosphärisch ein wenig an wie eine moderne Version von Otfried Preußlers "Krabat". Gute Unterhaltung für ein breites Publikum.