Fehlende Medienkompetenz stört Eltern-Kind-Verhältnis

Fehlende Medienkompetenz der Eltern kann bereits früh die Entwicklung von Kindern beeinflussen. Zu diesem Ergebnis kommt eine seit einigen Jahren an der Paracelsus Medizinischen Universität Salzburg (PMU) durchgeführte “Smart.Baby-Studie”.
Ausdrucksloses Gesicht erzeugt Stress
Für das Studiendesign wurde dabei auf das “Still-face-Experiment” des US-amerikanischen Entwicklungspsychologen und Psychoanalytikers Edward Tronick aus den 1970er-Jahren zurückgegriffen. Mit diesem wurden die Auswirkungen von unterbrochenen Interaktionen zwischen Müttern und Babys im Alter von bis zu zwei Monaten untersucht. Zeigte die dem Säugling zugewandte Bezugsperson dabei ein ausdrucksloses Gesicht, reagierte das Kind zuerst mit dem Versuch, die Aufmerksamkeit wiederzuerlangen, und dann mit körperlichen und emotionalem Rückzug. Langfristig kann dies tiefere psychische Störungen beim Kind auslösen.
Die Salzburger Forscher:innen erweiterten diese Anordnung nun um eine Phase, in der sich die Mütter vor ihrem Kind mit einem Smartphone beschäftigten (siehe auch Zusammenfassung unter diesem Link). Das Ergebnis: Wie auch in einer “Still-face-Phase” zeigten die 3-10 Monate alten Kinder in der “Smartphone-Phase” einen statistisch bedeutsamen Anstieg der Herzrate und damit physiologische Stressreaktionen.
Zusammenfassend halten die Wissenschaftler:innen dazu fest: “Für Kinder bedeutet es Stress, wenn die Bezugsperson nicht verfügbar ist. Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Mutter das Smartphone benutzt oder sie das Kind absichtlich ignoriert. Dies bestärkt den achtsamen Umgang mit Medien und die Notwendigkeit einer zuverlässigen und emotional verfügbaren Bezugsperson, vor allem in den ersten Lebensjahren.”
"Emotionale Abwesenheit" und ihre Auswirkungen
Marion Hantinger, Salzburger Schulpsychologin und Mitarbeiterin an diversen PMU-Projekten, erklärte die Auswirkungen von “emotionaler Abwesenheit” der Eltern durch (unter anderem) digitale Geräte in mehreren Fachartikeln (siehe unten) dabei so: “Werden in gemeinsamen Interaktionen die Wünsche und Gefühle des Kindes adäquat kommentiert (also auch verbal gespiegelt), führt dies mit höherer Wahrscheinlichkeit zu einer sicheren Bindungsentwicklung. Kommt es bereits in diesem frühen Stadium zu Störungen, kann das weitreichende Auswirkungen auf die Bindungsentwicklung haben.”
Dabei greift sie auch auf den von den beiden US-Forscher:innen Brandon McDaniel und Jenny Radesky geprägten Begriff der “Technoferenz” zurück, der die Unterbrechung einer sozialen Interaktion durch ein digitales Gerät beschreibt. "Die Forscher gehen davon aus, dass der Blick aufs Smartphone den Eltern kurzfristige Erleichterung vom quengelnden Kind verschafft. Kleinere Kinder reagierten ärgerlich auf ihre Eltern,wenn diese während des Zusammenseins mit ihnen immer wieder aufs Smartphone schauten. In der Studie zeigte sich, dass höhere Technoferenz-Scores mit Berichten der Eltern über ihre eigene zwanghafte oder problematische Mediennutzung sowie mit höherem externalisierendem Verhalten des Kindes im Laufe der Zeit in Zusammenhang standen."
“Eltern, die ihr Smartphone während der Eltern-Kind-Interaktion benutzten, wurden als weniger sensibel eingeordnet und reagierten sowohl verbal als auch nonverbal weniger auf die Aufmerksamkeitsangebote ihrer Kinder. Dies kann zu einer geringeren Qualität dieser Eltern-Kind-Interaktionen führen”, so Hantinger weiter.
Medienkompetenz bei Eltern gefordert
“Grundsätzlich muss festgehalten werden, dass der Forschungsstand keine kausalen Ursachen-Wirkungs-Zusammenhänge belegen kann. Die Studien sind häufig mit kleinen Fallzahlen durchgeführt und lassen vom Studiendesign her keine eindeutigen Schlüsse zu. Es fehlen insbesondere longitudinale Studien [Verlaufsstudien]”, gemahnen Forscherinnen der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften allerdings zur Vorsicht. Diese hatten in ihrem Artikel “Smartphones können die frühe Eltern-Kind-Interaktion stören” mehrere Forschungsergebnisse zusammengefasst, die Auswirkungen von zu intensivem Smartphone-Gebrauch untersucht hatten.
Die Salzburger Schulpsychologin Hantinger setzt sich in diesem Zusammenhang für eine “Medienmündigkeit in Familien" ein, die bereits bei den Erwachsenen ansetzt. Neben der Begleitung von älteren Kindern bei altersgerechten Inhalten, würde dies auch den eigenen bewussten und sparsamen Umgang mit digitalen Geräten vor allem vor Babys und Kleinkindern beinhalten.
“Die Familie ist der erste und zentrale Raum der Medienerfahrung. Die Eltern sollten in ihrer Erziehung also bereits Kompetenzen erkennen lassen, und die Medienerziehung als Teil davon setzt eben eine Medienkompetenz von Eltern voraus.” Damit könnten auch unterbrochene Interaktionen bzw. wahrgenommene “emotionale Abwesenheit” gerade in der frühkindlichen Entwicklung vermieden werden.
Erwähnte Studien bzw. Artikel
- “Medienkompetenz in Familien”, Marion Hantinger in “Pädiatrie & Pädologie”, August 2023
- “Emotionale Abwesenheit durch Mediennutzung in Familien”, Marion Hantinger in “TelevIZIon” Heft 36/2023/2
- Salzburger “Smart.Baby-Studie” auf fuerkinder.org
- “Smartphones können die frühe Eltern-Kind-Interaktion stören”, Agnes von Wyl, Katrin Braune-Krickau, Larissa Schneebeli und Jessica Pehlke-Milde; ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, 2021
Hinweis: Für eine Folgestudie sucht die PMU Salzburg derzeit interessierte Väter mit ihren 4-7 Monate alten Kindern. Alle Infos zur “Smart.Daddy-Studie” finden Sie unter diesem Link.