Neuronale Netze
Mit “Neuronale Netze” hat das Team des Wiener Bildungsservers auch ein zweites Spiel aus der “Digital Starter”-Reihe der deutschen Firma Haba getestet. Ähnlich wie bei “Pfadfinder-Algorithmus” tauchten dabei an entscheidenden Knotenpunkten einige Fragezeichen bei den testenden Spieler:innen auf.
Daher haben wir auch diese Besprechung unter einen größeren Kontext gesetzt, um für das nötige Hintergrundwissen zu sorgen.

Kontext
Künstliche neuronale Netzwerke (KNN) sind rechnergestützte Modelle, die sich am Aufbau des menschlichen Gehirns orientieren. Ein Neuron ist eine Nervenzelle im Gehirn, die mit anderen Nervenzellen verbunden ist und elektrische Signale an diese weitergibt. Aus Milliarden von Neuronen und deren Verbindungen (Knotenpunkte) setzt sich das neuronale Netz des Gehirns zusammen.
Ein künstliches neuronales Netz arbeitet nach einem ähnlichen Prinzip: Jedes Neuron stellt eine mathematische Formel dar, die Eingabewerte (Input) verarbeitet und daraus eine Ausgabe (Output) berechnet. Die Werte der Formel werden dabei durch die Ausgangsdaten definiert und verschieden gewichtet. Durch das Zusammenwirken vieler solcher künstlicher Neuronen entsteht ein umfängliches, auf Algorithmen basiertes, neuronales Netz.
Ein künstliches neuronales Netzwerk ist in der Lage, verschiedenste Datentypen – wie Bilder, Texte oder Audiodaten – zu verarbeiten, Muster zu erkennen und daraus Vorhersagen für neue, unbekannte Daten zu treffen. Dies macht sie besonders nützlich für datenbasierte Analysen und Prognosen.
Der Aufbau eines KNN erfolgt in drei Schichten:
- Eingabeschicht (Input Layer): Nimmt Daten von außen auf.
- Verborgene Schichten (Hidden Layers): Verarbeiten die Daten durch gewichtete Verbindungen und nichtlineare Funktionen.
- Ausgabeschicht (Output Layer): Gibt das Ergebnis der Verarbeitung aus.
Ist das Netzwerk besonders tief, also enthält viele verborgene Schichten, spricht man von Deep Learning – einer spezialisierten Form neuronaler Netze mit hoher Leistungsfähigkeit bei komplexen Aufgaben.
Inhalt

Das Spiel “Neuronale Netze” lässt sich entweder alleine oder zu zweit spielen und ist für Spieler:innen ab 5 Jahren vorgesehen... Im Umfang enthalten ist ein hölzerner Laptop, der mit einer von zwei neuronalen Netzkarten (beschrieben als “leicht” mit zwei Knotenpunkten und “schwer” mit drei Knotenpunkten) bestückt werden kann. Neun bedruckte Holzstecker in drei Farben dienen als “Kantengewichte”, die in die neuronalen Netzkarten gesteckt und unterschiedlich gewichtet werden können, je nachdem, in welche Richtung der dort aufgedruckte Pfeil zeigt. Seitlich in den Holz-Laptop lassen sich Trainings- und Testkarten stecken, auf denen entweder eine Eule, ein Hund oder eine Katze abgebildet sind. Drei Tiertaler und zwei Symboltaler aus Pappe komplementieren das Spielset.
Durch das Spiel geführt werden die Spieler:innen durch die beiden Comicfiguren Pixi und Cody, die Hintergrundwissen zu neuronalen Netzwerken in der Anleitung geben und die einzelnen Schritte für die Programmierung des Laptops erklären. Leider ist die Schrift äußert klein und die Texte relativ schwer verständlich – vor allem für die jüngere Zielgruppe – was jedoch auch daran liegt, dass das Thema “Neuronale Netzwerke” an sich kein einfaches ist.
Positiv zu bewerten ist, dass die Anleitung in sechs Sprachen übersetzt ist und die Spielmaterialien ansonsten sprachunabhängig sind, da nur Symbole und Ziffern abgebildet sind.
Spielablauf

Ziel des Spiels ist es, mithilfe der Trainingskarten, auf denen unterschiedliche Zahlenwerte zu finden sind, die bunten Holzstecker (die sogenannten Kantengewichte) des neuronalen Netzes so auszurichten, dass durch Zusammenrechnen der Zahlenwerte ein Ergebnis auf dem Schieberegler herauskommt, das die eingesteckte Tierkarte der richtigen Klasse (Eule, Hund, Katze) zuordnet. Ob die Kantengewichte am Ende des Testdurchlaufs richtig eingestellt sind, soll dann mithilfe der Testkarten kontrolliert werden.
Übertragen auf die Funktionsweise von neuronalen Netzwerken bilden die Trainings- bzw. Testkarten dabei den Input (die Eingabeschicht), die farbigen Verbindungen der verschiedenen Holzstecker samt Pfeile stellen die verborgene Schicht des neuronalen Netzes dar und die Visualisierung der Zahlenwerte mittels Schieberegler, der je nach Position zu einem Ergebnis kommt, ist als Output (Ausgabeschicht) definiert.
Phase 1 - Testphase
Das Spiel sieht zwei Rollen vor: Programmierer:in und Computer. Klingt nach einem dynamischen Duo – ist es aber nicht.
- Der/die Programmierer:in startet mit einer Aufgabe: Er wählt ein Ziel-Tier (z.B. „Katze“) und darf dann die Holzstecker – also die Kantengewichte – willkürlich auf dem neuronalen Netz platzieren. Danach besteht seine einzige Aufgabe darin, Testkarten in den Laptop zu stecken. Das war’s. Keine weiteren Entscheidungen, keine weiteren Einflussmöglichkeiten ins Spiel.
- Der Computer hingegen übernimmt alles. Er schaut sich die Trainings- und Testkarten an, probiert aus, verändert Gewichte und darf an den Einstellungen des neuronalen Netzes herumtüfteln.
Im Einspielermodus übernimmt eine Person beide Aufgaben.
Berechnung
Der Spieler in der Rolle des Computers bekommt den Laptop vom/von der Programmierer:in mit zufällig gewählter Einstellung des neuronalen Netzes überreicht und berechnet die ersten Ergebnisse der Tierkarten aus dem Trainingskartenset. Für die Berechnung gibt es drei einfache Regeln, die der Computer anwenden muss, um zu einem Ergebnis zu kommen.
Auswertung
Wenn die Berechnung abgeschlossen ist, wird ausgewertet. Da der Computer noch kein Vorwissen hat, können die ersten Ergebnisse falsch sein, das heißt, die Tierkarten werden noch nicht korrekt klassifiziert (z.B. Katze wird als Hund klassifiziert). Entscheidend dafür ist die Position des Schiebereglers, der sich je nach Berechnung oberhalb, unterhalb oder mitten auf der Null-Linie befindet. Wenn der Schieberegler oberhalb der Null-Linie ist und die Bildkarte das gesuchte Tier zeigt, hat der Computer das Tier erkannt und die Tierkarte kann auf dem Stapel mit dem grünen Häkchen abgelegt werden. Stimmt die Bildkarte mit dem Ergebnis des Schiebereglers nicht überein, kommt die Karte auf den Stapel mit rotem Kreuz.
Anpassung
Mit Ausprobieren und Umstellen der Kantengewichte passt der Computer sein neuronales Netzwerk an, mit dem Ziel, dass die nächste Tierkarte richtig klassifiziert wird.
Die Trainingsphase dauert so lange, bis alle Tierkarten des Trainingssatzes aufgebraucht sind. Nach jeder neuen Tier-Karte kann das Netz weiter angepasst werden, bis die Bildkarten – im besten Fall – eindeutig klassifiziert werden.
Phase 2 - Testphase
In dieser Phase wird das neuronale Netz mittels der Testkarten geprüft, ob die nun verdeckten Tierkarten richtig klassifiziert werden. In der Testphase darf der Computer jedoch keine Änderungen der Kantengewichte mehr vornehmen. So wird Karte für Karte geschaut, ob das neuronale Netz zum richtigen Ergebnis kommt. Am Ende wird überprüft, wie viele Karten das neuronale Netz richtig erkannt bzw. falsch zugeordnet hat.
In einer neuen Spielrunde können die Rollen getauscht werden und bei Bedarf die schwere neuronale Netzkarte mit drei Knotenpunkten auf dem Laptop platziert werden.
Fazit
Was den Anspruch an ein cleveres Lernspiel hat, fühlt sich in der Praxis an wie ein Escape Room ohne Hinweise. Frust ist garantiert – besonders dann, wenn nach vielen Versuchen der Holzlaptop immer noch stur behauptet, dass die Katze eigentlich ein Hund ist. In unserem Test gab es einen Wechsel der Gefühlslagen zwischen Langeweile und Frust, in der Hoffnung, irgendwann die richtige Einstellung der Gewichte gefunden zu haben, die die Tiere richtig klassifiziert. Nachvollzogen werden konnte die “Lösung” nur schwer, als im Test eine Einstellung gefunden wurde, die halbwegs richtige Ergebnisse lieferte.
Die Rollenverteilung im Zweispielermodus führt zu einem riesigen Ungleichgewicht im Spielverlauf. Eine:r macht fast alles, eine:r fast nichts – und beide haben dabei wenig Spaß. Besonders Kinder, die in der Programmierer:innen-Rolle sind, erleben schnell Langeweile und Entkopplung vom Spielgeschehen. Ein Rollentausch ist möglich, aber bringt nur kurz Abwechslung in ein unausgeglichenes Spielprinzip.
Sobald Spieler:innen die Logik der Gewichtung durchschaut haben – was übrigens in der Anleitung weder beschrieben noch aufgelöst wird, um es eventuell Kindern erklären zu können – wird jede weitere Runde einfach nur langweilig bzw überflüssig. Das Spiel an sich funktioniert, nur der Weg des Verständnisses ist lang und steinig, bei dem der Spaßfaktor schon relativ schnell auf der Strecke bleibt.
Die Altersangabe (ab 5 Jahren) ist, gelinde gesagt, ambitioniert. Kinder im Vorschulalter sollen verstehen, was selbst Erwachsenen nicht auf Anhieb klar wird – ohne brauchbare Hilfestellung, ohne nachvollziehbare Lösungen, ohne jeden Spielspaß. Hinzu kommt, dass die Gewichtungen des neuronalen Netzes zusammengerechnet und anschließend auf einem Schieberegler dargestellt werden sollen, der weder Zahlenwerte noch eine geeignete Möglichkeit bereithält, Zahlenwerte Schritt für Schritt zu zählen. Der sensible Schieberegler, der beim Anstoßen an der Laptop direkt verschoben wird, besteht nur aus einer vertikalen Farbskala, auf der die Farbstufen sich nur schwer voneinander unterscheiden lassen, was das Zählen für jüngere Kinder extrem erschwert.
Statt Spielfreude gibt’s pädagogisches Grübeln, bei dem alle Beteiligten irgendwann in den Holzlaptop beißen möchten. Der Versuch, komplexe Informatikthemen über kindgerechtes Storytelling zu erklären, ist theoretisch gut gemeint. Praktisch ist das Spiel- und Regelverständnis schwer greifbar und bleibt über weite Strecken nebulös. Der Anspruch des Spiels, abstrakte Berechnungen einfach erlebbar zu machen, wird weit verfehlt.
Immerhin: Der Laptop ist aus Holz – zum Bürospielen allemal gut geeignet.