Digitalisierung wird weltweit unterschiedlich bewertet

Eine Studie zeigt, dass Kultur und Region Einfluss darauf haben, wie Menschen digitalen Technologien begegnen.

Studien
Im Bild ist die Erde zu sehen, umgeben von diversen digitalen Zusatzanzeigen.

Beschäftigt man sich mit digitalen Technologien, klingen gewisse ethische Grundsätze weltweit ähnlich: Von Gerechtigkeit, Würde und Privatsphäre ist die Rede. Es scheint, als könne man sich über Kontinente und Regionen hinweg auf dieselben Grundwerte einigen. Bei einem genaueren Blick zeigt sich jedoch, dass die tatsächliche Einstellung der Menschen zu digitalen Technologien je nach Kultur oder Region durchaus unterschiedlich ist. Ein Forschungsprojekt der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) ging dem nun auf den Grund.

Im Fokus der Untersuchung standen vor allem die Narrative, also die gesellschaftsweiten Erzählmuster, die die Sichtweise der Menschen auf digitale Technologien beeinflussen. So steht beispielsweise in der EU das Individuum im Zentrum. „Es wird primär als bedroht, als potenzielles Opfer der Technologie und der Digital-Industrie gesehen, insbesondere im Hinblick auf einen befürchteten Verlust von Autonomie. Und die präferierte Lösung des Konflikts ist Regulierung, die darauf abzielt, dem Individuum seine Autonomie wiederzugeben“, sagt die Rechtswissenschaftlerin Christiane Wendehorst, Klassenpräsidentin der ÖAW, die das Forschungsprojekt geleitet hat.

Digitaler Kolonialismus bis Silicon Valley

Im Globalen Süden hingegen steht die Gemeinschaft im Zentrum, die von anderen Staaten oder Weltreligionen potentiell marginalisiert und ausgenutzt wird. Hier ist die Rede vom “digitalen Kolonialismus”. Die Lösung sieht dieses Narrativ in der Entwicklung eigener digitaler Technologien mit dem Ziel einer kollektiven digitalen Souveränität. Ein teilweise ähnliches Narrativ wurde u.a. in Schwellenländern, wie z.B. Indien, Thailand oder Teilen des Nahen Ostens, erkannt. Hinsichtlich der Digitalisierung steht hier die Ökologie bzw. die Gemeinschaft/Gesellschaft im Mittelpunkt. Das Individuum selbst ist zwar Nutznießer digitaler Technologien, jedoch mit weniger ethischen Bedenken. Organische Entwicklung, Kultur und Bildung werden als primäre Steuerungsinstrumente betrachtet.

Insbesondere im ostasiatischen Raum zeigte sich ein Narrativ, bei welchem sich die Menschen als Akteure mit aktiver Handlungsfähigkeit in der digitalen Transformation sehen und als solche Chancen für eine bessere Zukunft ergreifen. Allgemein kennzeichnend war die Betonung der organischen Evolution, mit viel Vertrauen in Regierungen und der Ansicht, dass die geeignetsten Steuerungsinstrumente (Unternehmens-)Kultur und Bildung sind.

Das sogenannte “Silicon Valley”-Narrativ sieht das Individuum als Akteur, mit einem starken Fokus auf Selbstbestimmung. Bedenken - sofern vorhanden - handeln von böswilligen Nutzer:innen von Technologie. Das Narrativ wird auch geprägt von Vertrauen in große Unternehmen, Technologie und die Wirtschaft.

Diese Narrative genauer zu untersuchen, ist wichtig, betont Christiane Wendehorst (ÖW), denn: „Sie können starke Triebfedern für gesellschaftliche Entwicklungen sein und darüber entscheiden, welche Politik verfolgt wird”. Ein Beispiel dafür sei die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) in der EU.


Über das Projekt:

Das Forschungsprojekt wurde im Rahmen der Plattform AGIDE (Academies for Global Innovation and Digital Ethics) durchgeführt. Elf Wissenschaftsakademien auf sechs Kontinenten, darunter die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW), untersuchten anhand qualitativer Interviews und internationaler Workshops, welche Narrative die Sichtweise auf digitale Technologien beeinflussen. Insgesamt wurden weltweit 75 qualitative Interviews mit Expert:innen durchgeführt, sowie drei internationale Workshops im Verlauf des Jahres 2023. Die dabei entstandene Publikation "Narratives of Digital Ethics" ist online abrufbar.