„Die Seelen der Menschen kann man nicht herrichten!“

Themenschwerpunkt - Teil 8: Kriegsreporterin Livia Klingl zu Gast bei den Schüler:innen des Schulradios FM-U18

Berichte & Reportagen
Schüler mit Radio-Mikrofon bei Kriegsreporterin Livia Klingl
Kriegsreporterin Livia Klingl im Interview mit Schulradio FM-U18

Gespannt warten die Schüler:innen des Schulradios FM-U18 des BRG 18 auf ihren heutigen Interviewgast Livia Klingl. Die ehemalige Kriegsreporterin von „Der Standard“ und „Kurier“ soll ihnen über ihre Erlebnisse in den Krisenherden der Vergangenheit erzählen, um daraus einen Beitrag für das schuleigene Radio zu produzieren, der auch über die „Wiener Radiobande“ ausgestrahlt wird. Der verantwortliche Lehrer Gerhard Wagner verteilt noch die zuvor gemeinsam erarbeiteten Fragen an die einzelnen Schüler:innen, um sie Frau Klingl zu stellen.


Die gesamte Sendung der "Wiener Radiobande"

Die Radiosendung "Reden über Krieg" mit Livia Klingl finden Sie unten eingebettet, auf der Webseite der "Wiener Radiobande" (Teil 1 und Teil 2 können hier abgerufen werden) oder in gesamter Länge auch auf der Webseite von FM-U18, dem Schulradio des BRG 18 in der Schopenhauerstraße. Die Sendung dauert gesamt rund 60 Minuten.


Mitbringsel aus Krisengebieten machen Krieg „angreifbar“

Dann startet das Interview: Frau Klingl hat aus ihren Einsätzen einige „Souvenirs“ mitgenommen, um die Vergangenheit gleich zu Beginn „angreifbarer“ zu machen. Eine Zigarettenpackung aus Sarajevo, einen Granatsplitter, ein improvisierter Feld-Ofen zum Wärmen und Essenkochen. Sie erzählt von ihren Anfängen als Kriegsreporterin im Süd-Sudan und 1991 bei der Revolution in Rumänien. „Da habe ich für mich erkannt, dass ich das aushalten kann“, erklärt sie ihre Motivation, ab dieser Zeit immer wieder an die verschiedenen Krisengebiete dieser Welt zu reisen und über die Geschehnisse zu berichten. Dies führte sie in die Kriege in Jugoslawien, in den Iran, Irak, nach Libyen, oft aber auch nach Russland. Damals herrschte dort zwar kein Krieg, die Geschehnisse heute kann sie dadurch aber auch besser einordnen.

„Im Krieg fällt alles aus, was wir gewohnt sind“, fasst sie ihre grundlegende Erfahrung zum Thema zusammen. Gesehen habe sie dabei vor allem Dreck, Tote, Bomben, Staub und Leichenteile, schildert sie und hält fest: „Man gewöhnt sich an vieles!“ Die alles dominierenden Gefühle in einer Kriegssituation seien aber die Unsicherheit und die Angst. Zudem komme auch das völlige „Fehlen von Selbstverantwortlichkeit“ dazu, denn in vielen Momenten sei man dem Glück und äußeren Mächten ausgesetzt, die man selbst nicht beeinflussen könne. Daher ist sie auch überzeugt davon, dass die Spätfolgen nach einem Krieg mindestens drei Generationen zu spüren seien. „Gebäude kann man relativ schnell einmal reparieren, aber die Seele der Menschen kann man nicht herrichten.“ Aus der eigenen Erfahrung erzählt sie über die Erinnerung an den Anblick eines toten Mannes, den sie erst verarbeiten konnte, als sie mit ihrem Vater, der als Soldat ebenfalls im Krieg war, darüber gesprochen hatte.

Schüler:innen erzählen von Krieg und Flucht

Neben den vielen detaillierten Fragen bringen die Schüler:innen auch ihre eigenen Erfahrungen mit dem Thema ein: Eine Schülerin aus Ex-Jugoslawien berichtet über die Erlebnisse ihrer Familie und Verwandten in den Kriegen und wie sehr sie sich in das kollektive Gedächtnis eingebrannt hätten. Sehr eindrücklich auch eine Schülerin aus Syrien, die meint: „Viel von dem, was dort passiert ist, hab ich erst realisiert seit ich hier bin.“ Dazu gehören etwa die von einem Tag auf den anderen „verschwundenen“ Nachbarn, wie etwa der nette alte Mann aus ihrer Straße, der ihr immer wieder Süßigkeiten geschenkt habe. Die einmonatige Flucht ihrer Familie fand sie hingegen „nicht schlimm. Denn ich war fröhlich, endlich rauszukommen.“ (mehr zu diesem Thema finden Sie in unserem Schwerpunkt-Teil „Thema Flucht in den Medien“) Ein Schüler aus einer russischen Familie hat sich zudem zur Vorbereitung russisches Fernsehen angeschaut und analysiert, wie dort über den Krieg in der Ukraine berichtet wird. Sein Fazit: „Man kann sich dadurch erklären, warum Menschen das glauben.“

Medienanalyse gerade in Kriegssituationen wichtig

Livia Klingl weist daher auch auf die Wichtigkeit der Medienanalyse hin, gerade in Kriegen (mehr dazu finden Sie auch in unserer Praxis-Idee „Medienanalyse“). „Ist es tatsächlich möglich, dass stimmt, was erzählt wird?“, ist für sie immer die zentrale Frage gewesen, die ihre Berichterstattung prägte. Mit dem Begriff Wahrheit hat sie daher bis heute ihre Schwierigkeiten, denn: „Wahrheit hat jeder eine eigene. Was zählt ist die Wirklichkeit, auf diese muss man sich einigen können. Dass Putins Armee die Ukraine überfallen hat, ist wirklich!“ In Zeiten von Fake News und sozialen Medien mit ihrer Flut an Informationen sei dies zwar noch einmal schwieriger geworden, gleichzeitig aber auch umso wichtiger. Bis heute verfolge sie daher Konfliktsituationen aus so vielen Quellen wie möglich.

77 Minuten an reinem Aufnahmematerial haben die Schüler:innen am Ende gesammelt, aus denen eine sehr eindrückliche Sendung zum Thema Krieg geschnitten wird. Die Auseinandersetzung damit ist aber noch nicht vorbei. Bei Kaffee und Kuchen reflektieren die Schüler:innen noch einmal über das eben Gesagte. Dabei wird Kriegsreporterin Livia Klingl auch selbst noch einmal zur Fragenden und erfährt von den Schüler:innen, was sie aus dem Interview mitgenommen haben.


In den Medien des Wiener Bildungsservers wird anlässlich des Kriegs in der Ukraine und den damit einhergehenden medialen Herausforderungen ein medienpädagogischer Themenschwerpunkt gesetzt. Am Lehrer:innen-Web werden ab sofort regelmäßig andere medienpädagogische Aspekte zum Krieg in der Ukraine beleuchtet. Auch in den anderen Medien des Wiener Bildungsservers sind passende Inhalte zu finden:



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