Medienheld:innen und die mentale Gesundheit

Positive Aspekte und Risiken des #mentalhealth-Trends in den sozialen Medien.

Berichte & Reportagen Jugendkultur
Die mentale Gesundheit boomt in den sozialen Medien – nicht nur im "Mental Health Awareness"-Monat Mai.

Die mentale Gesundheit erfährt zunehmend mehr Präsenz in sozialen Medien. Unter dem Hashtag #mentalhealth finden sich auf TikTok, Instagram und Co. Millionen von Posts und Videos. Vorwiegend junge Menschen sprechen darin z.B. offen über ihre psychischen Belastungen, geben präventive Tipps zur mentalen Gesundheit oder zeigen sich in emotionalen Ausnahmesituationen. In den unzähligen Videos und Posts – viele davon haben Zugriffszahlen in Millionenhöhe – wird mit Begriffen wie ADHS, Autismus, Depression und Ähnlichem um sich geworfen. Hier treffen Entstigmatisierung und Community Building auf Romantisierung und Vereinfachung. 

Neurodiversität als Teil der Identität

Wer sich in sozialen Netzwerken aufhält, ist womöglich schon über den Begriff “neurodivers” gestolpert. Gemäß dem Konzept der Neurodiversität wird vieles, was in der Medizin als psychische Krankheit oder Störung klassifiziert wird, stattdessen als natürliche, neurologische Verschiedenheit betrachtet. Dazu zählen unter anderem Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS), Autismus-Spektrum-Störung oder auch Legasthenie und Dyskalkulie. Es ist heutzutage nicht ungewöhnlich, in Social Media-Profilen neben den wesentlichsten Identitätsmerkmalen wie dem Alter oder den persönlichen Interessen auch den Begriff neurodivers vorzufinden.

Denn über ADHS, Autismus-Spektrum-Störung, Depressionen etc. wird online zunehmend offener gesprochen. Was vor einigen Jahren noch als klares Tabuthema galt, ist auf vielen Social Media-Profilen nun sogar der Hauptinhalt. Neben Betroffenen mit persönlichen Erlebnisberichten finden sich ausgebildete Psycholog:innen mit sachlich-informativen Inhalten, aber auch “Coaches” ohne klare Qualifikation und mit teils sehr fragwürdigen Tipps. Dass Inhalte zur mentalen Gesundheit starke Aufmerksamkeit erfahren, ist in Zeiten, in denen eine Studie über die Ausmaße psychischer Belastungen von Jugendlichen die nächste jagt, jedenfalls nicht verwunderlich.

@psychologin_linda Quelle: Feldmann & Barrett (2001), Hagelskamp et al. (2013), Bushman (2012), Mischkowski et al. (2012) alles gefunden in „besser fühlen“ von Leon Windscheid #wut #wutanfall #psychologie #choleriker Storytelling - Adriel

Information, Selbstreflexion und Enttabuisierung

Seriöse Social Media-Beiträge  über psychische Krankheiten und Belastungen können vor allem für junge Menschen eine hilfreiche erste Informationsquelle sein. Speziell in Zeiten in denen Kassen-Therapieplätze knapp sind, können seriöse Posts und Videos ein guter erster Anstoß sein, um sich näher mit der eigenen psychischen Gesundheit zu beschäftigen. Die eigene Selbstreflexion wird angeregt und bei Bedarf idealerweise professionelle Unterstützung gesucht – denn diese kann durch soziale Medien keinesfalls ersetzt werden.

Doch die unzähligen #mentalhealth-Inhalte fördern in jedem Fall ein allgemeines, öffentliches Bewusstsein sowie Verständnis. Die persönlichen Erlebnisberichte von Betroffenen tragen stark zur Enttabuisierung und Entstigmatisierung bei. Sie können anderen dabei helfen, sich mit ihren Problemen weniger allein zu fühlen. Oftmals wird einander in den so entstehenden Communities mit viel Verständnis und gegenseitiger Unterstützung begegnet. 

Romantisierung und Werbung

Dies kann jedoch auch ins Gegenteil umschlagen, z.B. wenn Gruppen entstehen, in denen es vorrangig darum geht, einander mit dem jeweils eigenen Leid zu übertrumpfen. Ästhetische Stilmittel und die oft stark verkürzte Darstellung in den sozialen Medien sorgen dafür, dass psychische Krankheiten mitunter auch romantisiert oder bagatellisiert werden. Dies kann nicht nur ein falsches Krankheitsbild zeigen, sondern auch für Betroffene belastend wirken. Problematisch ist zudem, dass auch die Werbeindustrie den “mental health”-Trend für sich nutzt und käufliche Produkte oder Dienstleistungen als Heilungsmöglichkeiten angeboten werden.

Besonders große Aufmerksamkeit erfahren aktuell Selbstdiagnose-Videos. Auch wenn diese Menschen in psychischen Krisensituationen Verständnis vermitteln und wie eine Antwort für ihre Probleme erscheinen können, sind Selbstdiagnose-Videos unbedingt mit Vorsicht zu genießen. Die Ergebnisse sollten keinesfalls als valide Diagnosen betrachtet werden, da komplexe, psychische Krankheitsbilder hier stark vereinfacht werden und teils mit falschen Informationen gearbeitet wird.


Im Unterricht: Kritisch hinterfragen

Die mentale Gesundheit in den sozialen Medien eignet sich gut, um mit Schüler:innen ab der Sekundarstufe das kritische Hinterfragen von Online-Inhalten zu thematisieren. Die YouTube-Videos der Kanäle Brust raus und reporter können als Ausgangspunkt für eine Diskussion zu dem Thema dienen. Posts und Videos mit Diagnosen, Tipps und Co. sollten jedenfalls kritisch hinterfragt werden. Denn auch bei körperlichen Erkrankungen können die Erfahrungsberichte anderer zwar sehr hilfreich sein, eine ernsthafte Krankheit kann jedoch nur ein Arzt bzw. eine Ärztin diagnostizieren. Wichtig ist es, auch andere Informationsquellen außerhalb der sozialen Medien zu nutzen und sich im Zweifelsfall professionelle Unterstützung zu suchen. Klären Sie Ihre Schüler:innen darüber auf, an welche Stellen Sie sich anonym und kostenlos wenden können (siehe Info-Box unten).  Regen Sie die Schüler:innen dazu an darauf zu achten, wann die Fülle an solchen Inhalten für sie genug ist. Der Algorithmus kann nämlich aktiv mitgestaltet werden, indem bei belastenden Beiträgen “nicht interessiert” ausgewählt wird.


Professionelle Unterstützung in Krisensituationen

  • Rat auf Draht: Beratung für Kinder und Jugendliche, telefonisch via 147 oder online
  • open2chat: Online-Begleitung von Jugendlichen für Jugendliche
  • Die Boje: Akuthilfe für Kinder und Jugendliche bis 18 Jahren in Krisensituationen
  • Telefonseelsorge: Beratung für Menschen in Krisen oder schwierigen Lebenssituationen, telefonisch via 142 oder online 


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